Zwischen Tradition und Totalverbot – Die Böller-Debatte

Es ist jedes Jahr dasselbe Ritual: Während die einen sich auf Raketen, Fontänen und das laute Knallen freuen, fordern andere ein Ende der privaten Silvester-Böllerei. Für die einen ist Feuerwerk gelebte Tradition, für die anderen ein unnötiges Risiko für Mensch, Tier und Umwelt. In Berlin haben Umweltverbände, Ärzte und Tierschützer erneut Druck gemacht. Ihr Ziel: ein bundesweites Verbot von privatem Feuerwerk.

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Die Rechtslage: Böllern ist eigentlich fast immer verboten

Was viele nicht wissen: Das Zünden von Raketen und Böllern ist in Deutschland im Grundsatz bereits verboten. Geregelt wird das im bundesweit gültigen Sprengstoffrecht. Erlaubt ist privates Feuerwerk nur an ganz wenigen Tagen im Jahr – rund um den Jahreswechsel. Juristisch handelt es sich dabei um eine Ausnahmegenehmigung, nicht um ein dauerhaftes Recht.

Würde man auch diese Ausnahme kippen, bräuchte es formal nur eine Initiative des Bundesinnenministers. Doch damit ist es nicht getan: Ein entsprechendes Gesetz müsste durch Bundestag und Bundesrat. Und genau dort liegt die politische Hürde. In den Ländern gibt es derzeit keine einheitliche Mehrheit für ein vollständiges Verbot.

Warum Städte schon heute Böller verbieten dürfen

Unabhängig von einem bundesweiten Verbot können Kommunen bereits jetzt einschreiten. Auch das ist in der Sprengstoff-Verordnung geregelt. Städte dürfen das Zünden von Raketen und Böllern dort untersagen, wo besondere Gefahren bestehen – etwa in der Nähe von:


  • Krankenhäusern
  • Kirchen
  • Kindergärten
  • besonders brandanfälligen Gebäuden wie Reet- oder Fachwerkhäusern


Deshalb gibt es in Großstädten sehr unterschiedliche Regelungen. Während etwa in München große Teile der Innenstadt zu Böllerverbotszonen erklärt sind, verzichten andere Städte bislang fast ganz auf solche Einschränkungen.

Ein breites Bündnis fordert das Ende der privaten Böllerei

Unter dem Hashtag #böllerciao hat sich ein breites gesellschaftliches Bündnis formiert. Dazu gehören unter anderem:


  • die Deutsche Umwelthilfe (DUH)
  • die Gewerkschaft der Polizei (GdP)
  • das Deutsche Kinderhilfswerk
  • die Tierschutzstiftung Vier Pfoten


Sie alle eint das Ziel, privaten Feuerwerksverkauf und -gebrauch deutlich einzuschränken oder ganz zu verbieten. Heute präsentieren sie in Berlin erneut ihre Forderungen – gestützt auf Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltargumente.

Die Argumente für ein Verbot

Hohe Verletzungsgefahr

Jedes Jahr kommt es zu zahlreichen Verletzungen durch Böller und Raketen – von leichten Verbrennungen bis zu schweren Hand- und Augenverletzungen. Viele Unfälle entstehen durch unsachgemäßen Gebrauch, manche auch durch gezielte Würfe auf andere Menschen. Oft treffen die Folgen Unbeteiligte.


Überlastete Krankenhäuser

Notaufnahmen geraten in der Silvesternacht regelmäßig an ihre Belastungsgrenze. Besonders häufig behandeln sie Feuerwerksverletzungen. Das bindet Personal und verzögert die Versorgung anderer Notfälle.


Angriffe auf Einsatzkräfte

In Großstädten werden Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei zunehmend mit Böllern angegriffen – teils gezielt. Besonders in problematischen Stadtvierteln eskaliert die Lage immer wieder. Die Gewerkschaft der Polizei warnt eindringlich: Ein Verbot sei nötig, „damit die Kolleginnen und Kollegen gesund durch die Nacht kommen“.


Massive Feinstaubbelastung

In der Silvesternacht schießt die Feinstaubbelastung in vielen Städten auf ein Vielfaches des Normalwertes. Für Menschen mit Herz- oder Atemwegserkrankungen bedeutet das ein ernstes Gesundheitsrisiko. Dazu kommen große Müllmengen in Parks und auf Straßen.


Brände und Millionenschäden

Funkenflug, glühende Raketen und Alkoholeinfluss führen immer wieder zu Wohnungsbränden, Balkonbränden und Schäden an Autos und Fassaden. Die Feuerwehr spricht von jährlich vermeidbaren Einsätzen.


Stress für Haus- und Wildtiere

Der extreme Lärm versetzt Tiere in Panik. Haustiere verkriechen sich, verweigern Nahrung, Wildtiere fliehen kopflos und verletzen sich. Tierschützer sprechen von vermeidbarem Leid.


Mehrheit der Bevölkerung gegen Böller

Nach einer YouGov-Umfrage sprechen sich rund 60 Prozent der Befragten gegen private Böllerei aus. Mehr als die Hälfte befürwortet entweder ein vollständiges Verbot oder zumindest ein stark eingeschränktes.

Die Argumente gegen ein generelles Verbot

Eingriff in persönliche Freiheitsrechte

Für viele bedeutet Feuerwerk persönliche Freiheit und Ausdruck von Lebensfreude. Ein Verbot wird als staatlicher Eingriff in das private Feiern empfunden.


Verlust einer kulturellen Tradition

Feuerwerk gehört für viele fest zur Silvesternacht. Der Bundesverband für Pyrotechnik betont: Feuerwerk stifte Gemeinschaft, symbolisiere den Jahreswechsel und werde zunehmend sicherer und leiser.


Das „falsche“ Verbot für friedliche Regionen

Während die Probleme vor allem in Großstädten auftreten, feiern viele Menschen auf dem Land oder in Kleinstädten friedlich. Ein bundesweites Verbot würde auch diejenigen treffen, die verantwortungsvoll feiern.


Wirtschaftliche Folgen

Die Feuerwerksbranche erzielt jedes Jahr hohe Umsätze in den wenigen Tagen vor Silvester. Ein Verbot hätte massive Auswirkungen auf Hersteller, Händler und Zulieferer.


Schwierige Durchsetzbarkeit

Ein vollständiges Verbot wäre kaum flächendeckend zu kontrollieren. NRW-Innenminister Herbert Reul bringt es auf den Punkt: „Dann müssten an jeder Ecke Polizisten stehen.“


Gefahr illegaler Böller

Ein striktes Verbot könnte den Schwarzmarkt ankurbeln – mit besonders gefährlichen, nicht geprüften Produkten oder sogar selbstgebauten Sprengsätzen.

Ein politischer Spagat ohne einfache Lösung

Die Fronten in der Böller-Debatte sind verhärtet. Auf der einen Seite stehen Sicherheit, Umwelt- und Tierschutz. Auf der anderen persönliche Freiheit, Tradition und wirtschaftliche Interessen. Während Städte bereits heute immer mehr Verbotszonen einrichten, bleibt ein bundesweites Verbot politisch schwierig – vor allem wegen fehlender Mehrheiten in den Ländern.


Autor: José Narciandi